Heute begeben wir uns auf eine besondere Reise. "Johanniskind" von Silvia Nagels vermischt Fakten aus dem mittelalterlichen Norddeutschland, Legenden über den Untergang der Stadt Rungholt mit magischen und mystischen Elementen.
Johanniskind … das ist eine fantastische, dreiteilige Saga, die ihren Ursprung im Untergang Rungholts 1362 hat. Johanniskind deshalb, weil die Legende geht, dass Rungholt wiederersteht, wenn ein Johanniskind an einem Sonntag bei Vollmond an der Stelle des untergegangenen Dorfes steht. Außerdem verfügen Johanniskinder, die reinen Herzens sind, über die Fähigkeit, einen Blick in die Zwischenwelt zu werfen.
Ingwer ist nicht nur deshalb etwas Besonderes – er ist der
einzige Mensch, der sowohl in der Menschen- als auch in der Zwischenwelt gelebt
hat.
Ingwer - das bedeutet Krieger Gottes, göttlicher Krieger –
passend für jemanden, der sich gegen das Böse stellen muss. Denn was wäre, wenn
die große Flut damals nicht einfach ein Naturspektakel gewesen wäre, sondern
die Rache des hinterhältigen, machthungrigen, besessenen Schwarzmagiers Nekke?
Um die Herrschaft über alle Lebewesen sowohl in der realen,
mittelalterlichen Menschen- als auch in der fantastischen Zwischenwelt zu
erlangen, benötigt Nekke etwas, das in Rungholt auf der Halbinsel Strand
versteckt gehalten wird – den Lapis nitidus, den glänzenden Stein.
Nekke vernichtet Rungholt, als er bemerkt, dass der Stein
von Ingwer und seinen Gefährten, der Webertochter Agnes und Pfarrer Alard,
fortgebracht wurde. Die Beiden sind ebenfalls am Johannistag geboren und wie
Ingwer ausersehen, den Stein zu schützen. Doch Nekke setzt alles daran, den Lapis
nitidus an sich zu bringen. Ingwer und seine Gefährten sowohl aus der Menschen-
als auch der Zwischenwelt stellen sich ihm entgegen. Sie scheinen zu siegen,
aber Nekke gibt nicht auf. Er ist das manipulativ Böse und packt seine Gegner
an Stellen, die sie nicht erwarten.
Die Gefährten stehen auf verlorenem Posten, vor allem, als
Ingwer spurlos verschwindet. Ohne ihn sind die Rettung der Welten und der
vollständige Sieg über Nekke unmöglich, daher trennen sich die Verbündeten und
machen sich sowohl in der Zwischen- als auch in der Menschenwelt auf die Suche
nach ihm.
Das Besondere am Johanniskind sind zum einen viele historische Begebenheiten/Legenden, die in das Setting der Menschenwelt einfließen.
Ungewöhnliche Wesen wie die Feuerelfen Flignis und Feurius,
die die Angewohnheit haben, regelmäßig in Flammen aufzugehen. Gaax, der Zworm,
der im Laufe der Geschichte eine immer wichtigere Rolle spielt. Fidibus, ein
Drache, der letzte Überlebende seiner Rasse nach dem großen Krieg, der etwas
anders ist, als man es gemeinhin von Drachen vermutet.
Es gibt keine unzähligen, blutigen Schlachten und Kämpfe,
dafür immer mal wieder Grund zu schmunzeln. Ingwer, der Held, ist ein Held, der
sich nicht als solcher fühlt. Nekke schwingt nicht plump den Zauberstab,
sondern setzt seine Magie auf spezielle Art und Weise ein.
Gaax, schüchtern, unsicher, allein. Der am Ende vielleicht
der Stärkste ist – weil er sich vorurteilslos auf Andere einlässt, weil er Hilfe
annimmt und versteht, dass sie es nur gemeinsam schaffen können, Nekke zu
besiegen. Der sieht, dass Opfer nötig sind, um das große Ganze zu retten.
Gibt es weibliche Hauptrollen? Selbstverständlich. Die
Herrin der Lichtwelt, Lariana. Die Königin der Feuerelfen Pyrrha, Rekja, Gesa,
Isa … sie alle spielen eine wichtige Rolle, eine von ihnen ist es, die … aber
das würde spoilern ;-)
Liebe, Freundschaft, Vertrauen – unverzichtbar
im Johanniskind, aber es ist keine Liebesgeschichte.
Einige Schnipsel:
Über den Lapis
nitidus:
'Geh in die Kirche, mein Kind. Dort wirst du einen Stein
finden, den Lapis nitidus. Er muss fortgebracht werden. Der Unhold Nekke
verlangt nach ihm, aber er darf unter keinen Umständen in seine Hände gelangen.
Der Stein trägt das Gleichgewicht der Welt in sich. Befindet er sich in der
Hand eines Lichtwesens, so verstärkt er das Licht in der Welt, doch macht ein
Dunkelwesen ihn sich zu Eigen, so verfällt die Welt in Dunkelheit. Weder das
eine noch das andere trägt Gutes in sich, denn es muss ein Gleichgewicht der
Kräfte auf Erden herrschen. Nur an einem Ort, an dem weder Licht- noch
Dunkelwelt Macht haben, kann der Lapis nitidus in Sicherheit sein. Vor
Jahrhunderten wurde in einer Beratung der Licht- und Dunkelwesen beschlossen,
ihn in die Obhut der Kirche zu geben. Bruder Oswald von Egmond wurde
ausersehen, den Lapis nitidus zu bewahren. Über viele Irrwege gelangte er nach
Rungholt und dort ruhte der Stein für lange Zeit, ohne dass er in Gefahr war.
Doch jetzt begehrt ihn der Schwarzmagier Nekke.'
'Sie hatte den Mörtel mittlerweile so weit entfernt, dass
sie ihr Messer als Hebel einsetzen konnte, um den Lapis nitidus aus dem Sockel
zu lösen. Er fiel heraus und rollte über den Boden auf Pfarrer Alard zu. Er
beugte sich hinab und hob ihn auf. Als der Stein in Alards Händen lag,
pulsierte er gleich einem menschlichen Herzen, und sandte im selben Rhythmus
ein immer heller werdendes Strahlen aus. Erschrocken ließ der Pfarrer ihn wieder
fallen.
Als Agnes danach greifen wollte, rief er entsetzt: »Fass ihn
nicht an! Nimm ein Tuch und schlag ihn darin ein. Das ist Hexerei, der Stein
lebt!« Hastig bekreuzigte er sich und griff nach dem Rosenkranz.
Agnes gehorchte und suchte in dem Beutel, der an ihrem
Gürtel hing, nach einem Stück Tuch. Sie fand ein Stoffmuster und wickelte den
Lapis nitidus darin ein. Dann steckte sie ihn in den Beutel, stand auf und ging
auf den Pfarrer zu. Der wich erschrocken zurück.
»Bleib mir damit vom Leib, Agnes. Das kann nicht gut sein,
ein Stein sollte nicht schlagen wie ein Herz!«'
Nekke:
'Der Feuerelf sah den Zauberer mit festem Blick an.
»Du wirst nichts von mir erfahren, selbst wenn du mich bis
aufs Blut folterst.«
Ein spöttisches Grinsen huschte über Nekkes Gesicht.
»Ein tapferer kleiner Elf. Keine Sorge, Blut wird nicht
fließen, ich habe andere Methoden, um zu erfahren, was ich wissen muss.«
Der Zauberer hob den Gefangenen auf Augenhöhe und starrte
ihn unverwandt aus seinen roten Augen an. Ein Ruck durchlief den Kundschafter,
als Nekke in sein Gehirn eindrang. Reglos hing er in Nekkes Hand, sein
Lichtschein wurde schwächer.
Nekke glitt in den Kopf des Elfen, der ihm hilflos
ausgeliefert war, durchforschte seine Gedanken, jede Regung, jede Erinnerung.
Entblößte die geheimsten Wünsche und öffnete Türen, die der Feuerelf vergessen
hatte. Als er nichts fand, das ihm nützlich war, fluchte er. Es sah so aus, als
hätte er einen Elfen gefangen, der nichts über Pläne gegen ihn wusste. Aber
irgendetwas musste da sein, eine Bemerkung, die der Elf zufällig aufgeschnappt
hatte, ein Hinweis, mit dem er nichts anfangen konnte. Nekke spürte, wie sich
Wut und Enttäuschung zu seiner Gier gesellten. Brutal stieß er in das Gehirn
seines Gefangenen vor, wühlte und grub. Unfähig, sich gegen die Qualen zu
wehren, hing der Elf in Nekkes magischem Griff, tiefe Falten furchten sein
Gesicht, die Augen versanken in ihren Höhlen. Sein Atem stockte, sein
Lichtschein erlosch, aber Nekke stieß einen triumphierenden Schrei aus, der von
den Höhlenwänden widerhallte.'
Gaax und Nekke:
'»Gaax! Du wertloser Schwachkopf! Was hast du jetzt wieder
angestellt?« Nekkes wütende Stimme drang durch die Höhle. Der Zauberer streifte
die Kapuze ab und entblößte einen haarlosen Kopf, der an einen Totenschädel
erinnerte. Die blutroten Augen lagen tief in den Höhlen und schienen Funken zu
sprühen, als er auf die kleine Gestalt zustürmte. Sofort drang der dem Zworm
eigene Geruch nach bemoosten Steinen an einem Regentag in seine Nase. Ohne eine
Antwort abzuwarten, ohrfeigte Nekke seinen Diener.
»Raus mit der Sprache!«, geiferte er und holte erneut aus.
Soweit es Gaax möglich war, zog er den Kopf ein. »Verzeiht,
Meister«, lispelte er mit hoher, kindlicher Stimme. »Mir ist das Gefäß mit den
Innereien Hofmarschalls Eidur zersprungen, als ich Euer Laboratorium säubern
wollte.«
Unablässig prasselten die mit Magie verstärkten Schläge auf
den kleinen Zworm nieder, als Nekke seiner Wut freien Lauf ließ. »Wie oft habe
ich dir verboten, dort sauber zu machen? Es wird Zeit, ein Exempel zu
statuieren!«
Gaax wimmerte und warf sich zu Boden. »Nicht, Meister! Bitte
nicht! Ich putze nie wieder!« Seine Hände tasteten nach Nekkes Umhang und
strichen zaghaft darüber. Verächtlich sah Nekke auf den Zworm herab und
versetzte ihm einen Tritt, der ihn durch die Höhle bis an die Wand rollen ließ.
Dort blieb Gaax liegen und schlang die Arme schützend um seinen Körper.'
Gaax und Flignis:
' Flignis schnaubte, griff nach einigen der langen
Ohrenhaare des Zworms und band sie sich fest um die Taille. Dann schmiegte er
sich an den halslosen Kartoffelkopf seines Reisegefährten und war wenig später
wieder eingeschlafen. Gaax grinste, als er das Schnarchen des Elfen vernahm,
fasste sein Ziel, das große Gebirge am Horizont, ins Auge und machte sich auf
den Weg. Langsam durchquerte er die Wiesen, die vor dem Finsterwald lagen,
erreichte die ersten Weideflächen der Dörfer und nahm seine Arme zu Hilfe.
Schneller und schneller umrundete er die kleinen Ortschaften, immer darauf
bedacht, ihnen auch in der Dunkelheit nicht zu nahe zu kommen. Der Wind pfiff
ihm um die Ohrenbüschel und ließ den daran angebundenen Elfen in der Luft
flattern.
»Hohoho, Gaax. Was wird das, wenn du fertig bist? Bei allen
Drachen, woher kommt dieser Sturmwind?«, brüllte Flignis, als er durchgerüttelt
wurde. »Kannst du mal kurz anhalten? Ich möchte mich losbinden, ich habe schon
überall blaue Flecken. Diese Art zu reisen gefällt mir nicht, lass mich lieber
alleine fliegen.«
Stück für Stück drosselte Gaax seine Geschwindigkeit, bis er
schließlich zum Stillstand kam. Flignis löste den Knoten und flatterte vor der
Nase des Zworms auf und ab. Die Lichtkugel, die ihn umgab, flackerte feurig
orange, und der Elf schüttelte die Faust.
»Mach das nie wieder!«, fauchte er funkensprühend. »Du
kannst eine Feuerelfe nicht gewaltsam aus dem Schlaf reißen. Wir könnten sonst
vor Wut explodieren, und das ist etwas, was du nicht wirklich erleben möchtest.
Am besten weckt man uns mit einer Tasse Feuerlilientee und einer großen Portion
Feuersalamandergrütze. Danach sind wir so weit besänftigt, dass man sich uns
gefahrlos nähern kann.«'
Ingwer:
'Ingwer hatte in der Nacht keinen Schlaf gefunden. Nicht
nur, dass ihn die vorwitzigen Ratten belästigten, ihn quälte die Sorge um seine
Gefährten und er hoffte, dass Lariana sie hatte erreichen und warnen können.
Außerdem sorgte er sich um sein eigenes Wohl, auch wenn er
der Herrin der Lichtwelt gegenüber das Gegenteil behauptet hatte. Welche
Methoden würde der Hardesvogt sich einfallen lassen, um Auskünfte aus ihm
herauszupressen? Würde er einer Folter standhalten können? Es gab unzählige
Geschichten von Helden, die der Befragung durch einen Henker lange widerstanden,
und ebensoviele Geschichten über die Arten der Grausamkeiten, die zur Befragung
angewandt wurden.
Doch Ingwer fühlte sich nicht als Held. Er war ein einfacher
Schmiedegeselle, dessen einzige Besonderheit darin bestand, das Ziehkind der
Herrin der Lichtwelt zu sein und über ein gewisses Maß an magischen Fähigkeiten
zu verfügen. Die würden ihm unter der Folter nicht helfen.'
'Ingwers Finger krallten sich in den Drachenschuppen fest,
er schloss die Augen und wartete auf den angekündigten Schmerz. Als Erstes
fühlte er die Kälte, die an ihm biss. Je tiefer sie in das Dunkel eintauchten,
desto grimmiger wurde sie, ließ ihn zittern, als Raureif seinen Körper überzog
und jeder Schweißtropfen zu Eis gefror. Gleichzeitig spürte Ingwer ein Ziehen
und Zerren an seinem Körper; Krallen, die sich in sein Fleisch schlugen und es
in alle Himmelsrichtungen auseinanderreißen wollten. Schreie ertönten, so laut
und schrecklich, dass er versucht war, den Drachen loszulassen und sich die
Hände gegen die Ohren zu pressen. Dann kam die Hitze. Wie glühend heiße Lava
überzog sie seinen Leib, verbrannte seine Haut und ließ ihn gequält aufstöhnen.
Gerade als er dachte, die Schmerzen nicht mehr aushalten zu können, durchstieß
Fidibus die dunkle Wand und flog über die karstige Landschaft der Dunkelwelt.'
Flignis und Feurius:
'Feurius kniff die Augen zusammen, um den Elfen genauer zu
betrachten. Als er ihn erkannte, regte sich neue Wut in ihm, seine Kleidung
begann zu schwelen, als er langsam auf den immer noch Knieenden zuging.
»Flignis! Wir bequemen uns also tatsächlich auch noch einmal
nach Hause, nachdem wir uns ohne Nachricht einfach so abgeseilt haben! Sag mal,
was denkst du dir eigentlich? Du traust dich allen Ernstes hierher?
Wahrscheinlich siehst du dich auch noch im Recht!«, donnerte er und die ersten
Flammen schlugen aus seinem Wams. Der Geruch der angesengten Kleidung
verbreitete sich im Thronsaal, ließ Flignis aufspringen und zu einem Tisch
laufen, auf dem ein Wasserkrug stand. In Windeseile kehrte er zurück und leerte
den Inhalt des Krugs über seinem König.
Prustend und fauchend tauchte der aus den Dampfschwaden auf.
Seine Garderobe wies an mehreren Stellen Brandlöcher auf, doch das Feuer seiner
Wut schien erloschen. Flignis ergriff den Arm seines Königs und zog ihn zu der
Tür, die in die königlichen Gemächer führte.'
Hallo und guten Tag Christine,
AntwortenLöschenoh...das ist ja voll von Legenden/Mythen und allerei zwischen den Welten liegen kann...
Interessant und irgendwie auch beängstigend oder?
LG..Karin...